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„Kopfkino“ im Unterricht


Wenn Schüler lernen, dass die Luft in ihrem Klassenzimmer rund 300 Kilogramm wiegt, dann steht aller Wahrscheinlichkeit nach Jan Bandemer vorn an der Tafel. Der Vollblut-Pädagoge für die Fächer Biologie und Chemie möchte vor allem eins: Unsichtbares sichtbar zu machen. Was er damit meint, hat er uns im Gespräch verraten.
 

Herr Bandemer, wie muss man sich das vorstellen, wenn im Chemie-Unterricht das „Kopfkino“ angeht?
Auch wenn es nicht jeden Tag klappt, so ist es doch eine große Motivation für meine Arbeit, dass es immer wieder gelingt, Schülerinnen und Schülern eine Tür in eine „neue Welt“ zu öffnen. Zum Beispiel, wenn ich meiner Schülerschaft erläutere, dass die Luft in einem Klassenzimmer rund 300 Kilogramm wiegt oder der Buchstabencode des menschlichen Erbguts einen gut fünfzig Meter hohen Turm aus Büchern füllen würde – und er dennoch in eine menschliche Zelle passt. Wenn es also gelingt, Unsichtbares sichtbar zu machen, Verborgenes zu entdecken, schier Unbegreifliches (=Ungreifbares) begreiflich zu machen.

Woher kommt dieses Anliegen?
Nun. Ich bin Molekularbiologe und somit von Haus aus interessiert an zunächst unsichtbaren Dingen. Hin und wieder gelingt es, bei den Schülerinnen und Schülern damit eine Begeisterung auszulösen. Das ist – glaube ich – das Tolle und Einzigartige an der Arbeit mit Jugendlichen und Kindern. Über deren Neugier wird auch meine Begeisterung immer wieder aufgefrischt. Das ist unheimlich belebend und vielleicht ja auch der Grund, weshalb viele engagierte Lehrerinnen und Lehrer so „jung“ und energetisch bleiben.

Jan Bandemer brennt für seinen Beruf - ihm ist es wichtig, seinen Schülerinnen und Schülern auch über das rein Fachliche etwas mitzugeben: Die Fähigkeit, Dinge zu hinterfragen, sich eine eigene Meinung zu bilden und kreative Lösungen für so manches Problem zu finden. Foto: DPFA Chemnitz/Bianca Kother

Über welchen Abschluss/welche Ausbildung verfügen Sie?
Ich habe in Jena den Diplomstudiengang Biochemie/Molekularbiologie absolviert. Da sich von diesem Abschluss zwei Unterrichtsfächer ableiten ließen, wurde der Abschluss bei der Bewerbung für ein Referendariat als gleichwertig mit dem 1. Staatsexamen anerkannt. So konnte ich 2016 als „Quereinsteiger“ ein Referendariat beginnen und 2017 das 2. Staatsexamen zum Lehrer für Gymnasium ablegen. Mein Promotionsstudium musste ich derweil leider erst einmal auf unbestimmte Zeit auf Eis legen.

Warum wollten Sie unbedingt Lehrer werden?
Bereits als Schüler habe ich als Nachhilfelehrer u.a. bei Schülerhilfe und Studienkreis gearbeitet. Ich fand die Tätigkeit sehr interessant, konnte mir aber noch nicht vorstellen, das hauptberuflich zu machen. Dennoch hat mich das Unterrichten nicht losgelassen. An der Uni habe ich dann auch sehr schnell verschiedene Lehrveranstaltungen betreut: Praktika, Tutorien und später Seminare. Ich hatte schnell bemerkt, dass mir die Lehre mehr liegt als der Laborversuch.

Aber Sie haben auch gemerkt, dass Ihnen Öffentlichkeitsarbeit liegt...
Richtig. Durch meine Tätigkeit als Pressesprecher für den Schülerwettbewerb „Chemie – die stimmt!“ hatte ich mich sehr intensiv mit Wissenschaftskommunikation beschäftigt und in dem Zusammenhang an verschiedenen Fortbildungen teilgenommen. Als Ergebnis habe ich am Universitätsklinikum Münster den „Maus-Türöffner-Tag“ mit etabliert, zu dem wir bereits ab dem dritten Jahr 450 junge Besucherinnen und Besucher begrüßen durften. Unterm Strich alles Dinge, die mich darin bestärkt hatten, hauptberuflich mit Jugendlichen zu arbeiten. Und so habe ich mich dann 2015 für das Referendariat in Sachsen beworben.

Wie sind Sie zur DPFA gekommen?
Eine jetzige Kollegin hat michangeworben“, weil am Augustusburger Gymnasium ein Biologie-Lehrer für die Sekundarstufe II gesucht wurde und auch der Wunsch bestand, einen Biologie-Leistungskurs zu etablieren. Schon beim ersten Besuch war ich sofort begeistert! Das Augustusburger Gymnasium ist sehr klein und herrlich gelegen; die Schulleiterin war sehr freundlich und das Kollegium schien auch vergleichsweise sehr jung und dynamisch zu sein. Ich war also schnell überzeugt, dass das genau die richtige Schule für mich sein würde.
 

Was schätzen Sie an Ihrer Tätigkeit als Lehrer einer freien Schule?
Durch flachere Hierarchien und – im Fall der DPFA – kleine Kollegien entstehen sehr kurze Dienstwege. Probleme können dadurch sehr schnell gelöst und Projekte – sowohl herausfordernde als auch innovative – können rasch bewilligt und umgesetzt werden. Die kurzfristige Etablierung eines Mini-Zoos mit Hühnerstall wäre in der Form wie wir sie hier am Gymnasium in Augustusburg realisiert haben an einer öffentlichen Schule kaum vorstellbar gewesen. Da die freien Träger beim Einsatz der Lehrkräfte mehr Freiheiten haben als öffentliche Träger, ergeben sich für die Lehrkräfte auch interessante und vielfältige Einsatzmöglichkeiten. So konnte ich zum Beispiel meine eigene fünfte Klasse in Sprecherziehung unterrichten, die wir dann auch noch an den Biologieunterricht – als Sprecherziehung mit naturwissenschaftlichen Inhalten – angelehnt hatten. Schwer vorstellbar an einer öffentlichen Schule.

Gibt es auch Nachteile?
Zwar ist das Gehalt bei einem freien Träger leider grundsätzlich geringer als an einer staatlichen Schule, aber dafür kann der private Bildungsträger auch besser auf meine persönlichen Bedürfnisse eingehen und damit für eine gute Work-Life-Balance sorgen. Mein persönlicher Eindruck ist daher, dass sich das Kollegium im großen Ganzen bei der DPFA besser wertgeschätzt fühlt als Lehrkräfte vom öffentlichen Träger.

Welche Aktivitäten betreuen Sie an der Schule?
Den Mini-Zoo, bei dem sich rund 20 Schülerinnen und Schüler um Hühner, Mäuse, Fische und Insekten kümmern – mit allem, was dazugehört. Ich betreue die Schüler bei der Teilnahme an Wettbewerben wie „Chemkids“ (Klasse 8) und „Chemie – die stimmt!“ für die Klassen 8 bis 10 sowie der „Internationalen Biologie-Olympiade“ für Elft- und Zwölftklässler.

Wozu möchten Sie die Schüler befähigen?
Einerseits möchte ich die Studierfähigkeit, besonders für MINT-Fächer, herstellen. Vor allem Mathe, Physik und Chemie sind Fächer, die an der Universität für viele Studierende oder an Berufsschulen für Auszubildende eine oftmals unüberwindbare Hürde darstellen – auch wenn gar kein Abschluss in einem MINT-Fach angestrebt wird. Auch zukünftige Mediziner, Rettungssanitäter oder Physiotherapeuten benötigen Knowhow in diesem Bereich. Ich versuche daher, den Unterricht praxisnah zu gestalten und – trotz der nötigen Vorbereitung auf das Abitur – Fähigkeiten im Blick zu behalten, die meine Schülerinnen und Schüler vor allem im Berufsleben beherrschen müssen.

Das Unsichtbare sichtbar machen, um Jugendliche für Naturwissenschaft zu begeistern: Das ist das Anliegen von Molekularbiologe Jan Bandemer. Foto: DPFA Chemnitz/Caroline Lindner

Aber Ihr Herz schlägt nicht nur für MINT-Fächer.
Mindestens genauso wichtig ist es mir auch, „mündige Wähler*innen“ heranzubilden: Junge Erwachsene, die Wahlprogramme kritisch hinterfragen und sich selbst auch zu schwierigen Themen positionieren können. Gerade vor dem Hintergrund, dass selbst in Europa immer mehr Regierungen zu anti-demokratischen Mitteln greifen und dass die Menschheit vor riesigen Problemen wie dem Klimawandel oder Fragen der Welternährung steht, werden gut ausgebildete und moralisch gefestigte junge Menschen benötigt, die auch in schwierigen Zeiten kreative Lösungen finden und angemessene Entscheidungen treffen. Zum Beispiel bereitet der Bio-Leistungskurs gerade projektmäßig eine öffentliche Podiumsdiskussion vor zum Thema: „Ökologische Landwirtschaft vs. Bio-Geo-Engineering – Was kann die Welt retten?“

Stichwort Digitalisierung: Wo findet diese bereits in Ihrer jetzigen Arbeit statt bzw. welche Potentiale sehen Sie für den Unterricht?
Wir setzen am DPFA-Regenbogen-Gymnasium in Augustusburg schon eine ganze Weile auch auf digitale Unterrichtsformen, aber der erste Lockdown hat natürlich vieles plötzlich schlicht notwendig gemacht. Mit der Lernplattform LernSax versorgen wir die Schülerinnen und Schüler mit digitalen Lernplänen und Unterrichtsmaterialien. Mit dem integrierten Videochat haben wir bereits erfolgreich Schülervorträge gehalten. Damit sind wir im Fall der Fälle für weitere Lockdowns sehr gut aufgestellt.

Während der Schulschließungen haben wir im Klassenverband (Klasse 7) Duolingo-Klassen eingeführt und mit dieser kostenlosen Lernsoftware um die Wette Englisch und Französisch geübt. Im Biologie-Leistungskurs benutzen wir die Software Evernote, um gemeinsam Unterrichtsinhalte zu teilen und an Dokumenten zu arbeiten. Evernote ist eine Software, die auch von großen Unternehmen genutzt wird. Für Leistungskontrollen benutzen wir die Lernplattform Moodle. Gerade auch während der Schulschließungen konnten wir so den Unterricht effizient fortführen, sodass wir sogar schneller waren (!) als es laut Stoffverteilungsplan vorgesehen war. Im Präsenzunterricht können wir die Inhalte, an denen wir in Gruppen gearbeitet haben, an der digitalen Tafel anzeigen und vergleichen. Dank Apple-TV-Geräten inzwischen auch drahtlos von den Endgeräten, z.B. den Schüler-iPads aus.

Den Mini-Zoo verwalten wir mit einer eigens angelegten Homepage. Damit können Schülerinnen und Schüler an den Terrarien und Gehegen QR-Codes scannen und noch vor Ort Pflegeprotokolle ausfüllen. Ob es den Hühnern gut geht, können wir live mit 2 LTE-Außenkameras (eine im Stall, eine im Gehege) überprüfen. Die digitalen Lösungen bieten hervorragende Möglichkeiten gerade für Gruppenarbeiten, um gemeinsam Inhalte zu entwickeln. Damit sind wir „krisenfest“. Und selbst in normalen Zeiten ergeben sich dadurch sehr gute Möglichkeiten, um z.B. Schülerinnen und Schüler mit einzubeziehen, die krankheitsbedingt nicht die Schule besuchen dürfen. Noch besser werden wir digital arbeiten können, wenn erst einmal ansprechende, zeitgemäße und verlässliche digitale Inhalte verfügbar sind. Das ist aber auf dem Weg und nur noch eine Frage der Zeit.