Stimme und Selbstbewusstsein stärken
Seit anderthalb Jahren bereichert Anne Sammler das Team des Regenbogen-Gymnasiums mit ihrer Expertise im Fach „Sprecherziehung“. Im Rahmen eines Interviews haben wir mit der Logopädin und Stimmtrainerin über ihre Arbeit am Gymnasium gesprochen. Sie gibt spannende Einblicke in ihre Methoden, Erfahrungen und die Herausforderungen, denen Schülerinnen und Schüler in der Sprecherziehung begegnen.
1. Wie kam der Kontakt zwischen Ihnen und dem Gymnasium zustande?
Der Kontakt entstand tatsächlich über einen privaten Weg: Frau Mehnert, die Schulleitung, stellte den Bezug her. Außerdem besucht meine Tochter die Klasse von Mme François, und durch den Weggang einer Kollegin war die Sprecherziehung nicht mehr abgedeckt. Da ich als Logopädin fachlich ideal passte, wurde ich ins Boot geholt. Das vergangene Schuljahr war mein erstes Jahr am Gymnasium.
2. In welchen Klassenstufen und wie oft bieten Sie Sprecherziehung an?
Der Unterricht findet alle zwei Wochen freitags statt, und zwar für die fünften und sechsten Klassen. Da ich keine Lehrkraft bin, ist bei jeder Stunde eine Lehrperson anwesend. Im letzten Jahr war das Mme François, dieses Jahr ist es Tanja Mehnert. Dadurch können wir die Klasse bei Bedarf für bestimmte Übungen auch aufteilen.
3. Was ist Ihnen bisher besonders aufgefallen?
Ich finde es großartig und sinnvoll, dass Sprecherziehung in der fünften und sechsten Klasse angeboten wird. Gleichzeitig merke ich, dass viele Kinder noch wenig Gespür dafür haben. Besonders positiv ist, dass sie lernen, sich mit ihrer Körperhaltung, der eigenen Stimme, den Stimmen anderer und dem Geben von Feedback auseinanderzusetzen.
Was mir jedoch auffällt: Viele Kinder können kaum noch Stille aushalten. Sie sind ständig am Reden, Zappeln oder in Bewegung. Ein Beispiel: Neulich wollte ich eine Geschichte vorlesen und musste eine Ewigkeit warten, bis wirklich Ruhe eingekehrt war.
4. Wie starten Sie mit den Schülerinnen und Schülern in der fünften Klasse?
Wir beginnen damit, dass ich von jedem Kind ein kurzes Video aufnehme. Das hilft den Kindern, sich selbst wahrzunehmen: Wie sitze ich? Wohin schaue ich? Wie wirke ich auf andere? Das ist in diesem Alter besonders wichtig, da in den kommenden Schuljahren viele Präsentationen und Vorträge anstehen. Dabei gebe ich viele Tipps, wie sie solche Vorträge gut vorbereiten und gestalten können und wie sie mit Lampenfieber umgehen.
5. Wie gehen Sie mit Schüchternheit oder Redeangst bei Kindern um?
Auch für diese Kinder gibt es hilfreiche Tricks und Unterstützung – sei es für Vorträge, mündliche Prüfungen oder andere Redesituationen. Niemand wird gezwungen, auf eine Bühne zu gehen, aber alle sollen Strategien finden, wie sie mit solchen Herausforderungen umgehen können.
6. Welche sprachlichen Herausforderungen begegnen Ihnen bei Schülerinnen und Schülern in diesem Alter?
Mir fallen unterschiedliche sprachliche Eigenheiten auf. Einige Kinder nutzen zum Beispiel sehr häufig das Wort „tut“, teilweise in fast jedem Satz. Ein weiteres Thema ist die Frage: „Mit wem spreche ich wie?“ – also die Unterscheidung zwischen Hochdeutsch und Dialekt. Auch die Sprechlautstärke ist ein spannender Aspekt. Um das zu üben, besuchen wir ein Altenheim, wo die Schülerinnen und Schüler mit den Bewohnern ins Gespräch kommen. Dabei müssen sie oft lauter, langsamer und besonders aufmerksam sprechen.
Außerdem nehmen kieferorthopädische Probleme zu: Zahnspangen wirken sich stark auf die Aussprache aus, was durch logopädische Übungen gut unterstützt werden könnte.
Ein generelles Problem sehe ich im steigenden Medienkonsum. Dieser hat nicht nur Auswirkungen auf das Sprachniveau, sondern auch auf den Wortschatz der Kinder. Ich plädiere daher für mehr persönliche Kommunikation und weniger Bildschirmzeit – auch wenn das natürlich für uns Erwachsene oft genauso schwer umzusetzen ist.
7. Welche Rolle spielt die Sprecherziehung in der allgemeinen schulischen Entwicklung eines Kindes?
Ich halte sie für äußerst wichtig. Es geht nicht nur um die Aussprache, sondern auch um Auftreten, Persönlichkeitsentwicklung, Selbstreflexion, die Wahrnehmung anderer und das Gewinnen von Selbstsicherheit. All das sind zentrale Themen in der weiterführenden Schule.
8. Welche Methoden und Übungen wenden Sie an, um die Sprechkompetenz von Schülern zu fördern?
Wir üben beispielsweise lautes Vorlesen, sprechen bewusst deutlich und in der richtigen Lautstärke. Oder das „Pseudoflüstern“: Da werden nur die Konsonanten gesprochen und diese wiederum besonders deutlich. Wir arbeiten an der richtigen Haltung und Mimik beim Sprechen und üben bestimmte Laute mit geschlossenen Augen bewusst auszusprechen. Beim Warmup trainieren wir oft ganz effektiv die Artikulationsorgane Zunge, Lippen, Wangen, Stimmbänder.
Außerdem versetzen sich die Kinder in verschiedene Rollen und verändern dabei ihre Stimme, um den Unterschied hörbar zu machen. Für den Tag der offenen Tür haben wir zum Beispiel einen Rap zum Thema Rhythmus und Betonung entwickelt. Die Schülerinnen und Schüler denken auch eigene Zungenbrecher aus.
9. Wie empfinden Sie Ihre Arbeit in der Schule?
Ich habe große Freude daran! Sprecherziehung ist ein Thema, das mich begeistert, und die Altersgruppe liegt mir besonders. Ich kann viel von meiner Arbeit in der Logopädie und im Stimmtraining einbringen und den Unterricht abwechslungsreich und praxisnah gestalten.
10. Was fänden Sie für die Zukunft eine sinnvolle Entwicklung?
Ich könnte mir gut vorstellen, in der zehnten und elften Klasse erneut anzusetzen. In diesem Alter kommen neue Themen auf die Jugendlichen zu, wie Praktika oder Vorstellungsgespräche. Hier könnte man verstärkt projektbasiert arbeiten und in kleineren Gruppen individuelle Unterstützung bieten.